Home / Current News / News / Kanzler, Kumpel, Kamerastar – Die Arbeit des Fotografen Kanzler, Kumpel, Kamerastar – Die Arbeit des Fotografen Teil 3 der Artikelreihe von Miriam Zlobinski und Maurice Weiss Forum Icon Forum Berlin published: 30. June 2020 Die Historikerin Miriam Zlobinski und der Fotograf Maurice Weiss werfen einen Blick hinter die Kulissen der medialen Darstellung und Wirkung Willy Brandts sowie der Reportagefotografie. Da die Veranstaltung aufgrund aktueller Einschränkungen nicht stattfinden kann, erscheint ab dem 10. Juni online eine Artikelreihe zum Vortragsthema. Die Vielfalt der Bildsprache um die Person und den Politiker Willy Brandt erscheint heute außergewöhnlich. So erinnern vermeintlich private Bildmotive, beim Sport und im Urlaub, sowie Archivmaterial aus jüngeren Jahren, an die geläufige Form der Bilddokumentation in Familienalben. So viel Nähe wird heutzutage durch die Medien kaum noch sichtbar. Es stellt sich die Frage: Wie entsteht ein öffentliches Bild von politischen Persönlichkeiten heute? Und wie gestaltet sich dabei die Arbeit eines Fotografen? Maurice Weiss ist Fotograf und Mitglied der renommierten Agentur Ostkreuz. Seine Arbeiten erscheinen seit Jahrzehnten in nationalen wie internationalen Magazinen. Seit 2008 ordnet er in seinem Arbeitsalltag das politische Geschehen visuell ein. Obwohl Weiss in einer langen Tradition von freien, politischen Fotograf*innen steht, angefangen bei Erich Salomon oder Kolleginnen wie Regina Schmeken und Barbara Klemm, war zu Beginn seiner Arbeit als Fotograf in der Politik die Skepsis groß. In den Redaktionen wurde befürchtet, der Fotograf verkürze unnötig die kostbare Gesprächszeit mit Interviewpartnern. Politiker*innen wiederum befürchteten einen Kontrollverlust durch die mehrfache Nutzung des Bildes. Als Resultat beobachtete Weiss immer wieder „eine monotone Bildsprache ohne größere Varianz.“ Für diese Bildmonotonie können laut Weiss zwei Faktoren lokalisiert werden: „Zum einen der stark eingeschränkte Zugang für Fotojournalisten bei Ereignissen und zu den politischen Akteuren und zum anderen ein Zugriff auf den gleichen Bilderpool von großen Fotoagenturen durch die Redaktionen.“ Diese verzerrenden Bedingungen, unter denen die Fotos entstehen, prägen jedoch unsere vermeintlich realistische Vorstellung von Personen. Dadurch kann der Eindruck entstehen, „dass Politik abstrakt oder gar langweilig ist.“ Heute ist die Skepsis der Anfangsjahre einer anderen Situation gewichen, so Weiss, „die jüngeren Redakteure haben verstanden, dass ein gutes, ungewöhnliches Bild dem Text hilft und eine Nähe des Textautors zum Sujet belegt. Zugleich sind sich heute viele Politiker der jüngeren Generation in ihrer Bildwirkung bewusster und können Anfragen von Fotografen besser einordnen.“ Fotos bleiben jedoch weiterhin schwer kalkulierbar, gerade wenn sie zum Beispiel unabhängig vom Anlass erst im Nachhinein von Bildredaktionen für eine kritische Berichterstattung genutzt oder über diverse Plattformen „viral“ geteilt werden. Maurice Weiss bei einem Porträt von Frans Timmermans im Zusammenspiel mit den Menschen vor der Kamera. Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz Wie gestaltet sich neben den redaktionellen Bedingungen die Rolle des Fotografen? Für Weiss ist die Fotografie ein Element zur Verteidigung der Demokratie. „Wenn Politiker nur mit großen Limousinen auf Pressekonferenzen oder auf der Bühne sichtbar sind, wird die Distanz zwischen ‚uns‘ und ‚denen da oben“ verstärkt‘.“ Emotionen, Nahbarkeit und Alltagsbegleitung fungieren hier als wichtige Übersetzer für die Leser. Diesem Ansatz folgte Weiss 2008, als er ein Angebot der Bildredaktion des Magazins Spiegel annahm. Festanstellungen waren zu diesem Zeitpunkt im Fotojournalismus nur noch selten. Mit dem neuen Arbeitsverhältnis veränderte sich die Rolle des Fotografen Weiss. Er war bei Redaktionskonferenzen dabei und wurde dadurch Teil eines Teams mit den Textredakteuren. Außerdem erschienen Weiss‘ Bilder von nun an nur im Spiegel, und von ihm fotografierte Politiker*innen konnten gewiss sein, dass ein Motiv nicht in einem anderen Kontext weiterverwendet würde. Das erweiterte den Handlungsspielraum des Fotografen: Politiker und Fotograf kannten sich, und im Idealfall vertrauten sie einander so sehr, dass Bilder an Orten und in Situationen entstehen konnten, zu denen Fotografen normalerweise keinen Zutritt erhalten. So konnte etwa die Begrüßung per Handschlag durch die richtige Person in den Élysée-Palast führen, wo offiziell keine Fotografen zugelassen waren. Maurice Weiss macht deutlich, dass Autorenschaft für ihn auch ethische Überlegungen, umfassendes Wissen über Abläufe und Personen sowie Respekt vor der Politik als Beruf und der beteiligten Person beinhaltet, unabhängig von persönlichen Präferenzen. Er weigert sich, körperliche Schwächen vor der Kamera zu entlarven, und trägt laut eigener Aussage „eine Verantwortung für die Personen vor der Kamera.“ Damit handelt er bereits selektiv. Sein Wissen über den Charakter und die Biographie von Politiker*innen verhilft Weiss dazu, auf die Person vor der Kamera einzugehen und sie zugleich für Betrachter*innen einzuordnen. „Es ist nicht gleichgültig, wo ein Mensch sich zu Hause fühlt, welche Vorbilder bestehen und welche Charakterzüge Politiker*innen prägen“, so Weiss. Das fotojournalistische Bild steht und entsteht damit immer in festen Kontexten und verdichtet prägnant, ohne den Menschen vor der Kamera zu etwas „machen zu wollen.“ Sigmar Gabriel und Peter Altmaier. Fotos: Maurice Weiss/ Ostkreuz Diese Arbeitsweise prägt das Einzelbild genauso wie die Fotoreportage. Dabei gibt der Fotograf seine Bilder an die Redaktion ab, und Überschriften wie Bildunterschriften können die Deutungen abseits der Intention des Fotografen stark beeinflussen. Der Spiegel selbst hat, obwohl der Fotojournalismus in der Geschichte des Heftes keine dominante Rolle spielte, das Genre des Politikergesprächs und seiner fotografischen Illustration geprägt: Das Foto zeigt die Redakteure gemeinsam mit dem politischen Gast an einem Tisch sitzend – ein visueller Beleg für die Authentizität und Exklusivität des Gesprächs. Ein solches Bild entsteht oftmals nach Ende des Gesprächs, und dies binnen weniger Minuten. Auch das zählt zu den Anforderungen an einen Fotografen: mit einem begrenzten Zeitrahmen umgehen und den Moment intelligent deuten und nutzen zu können. „Die meisten Räume sind den Politikern genauso fremd wie mir“, so Weiss. Kofi Annan im Hotel während eines Interviews mit Redakteuren des Magazins Spiegel. Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz Als Maurice Weiss einmal bei einem Interviewtermin nachfragte, „wie oft Kofi Annan zu Hause sei”, antwortete dieser, dass er „die meiste Zeit in Hotelzimmern verbringe.“ Resultat des Dialogs war ein Foto, das den einstigen Generalsekretär der Vereinten Nationen neben seinem ungemachten Hotelbett zeigt – eine Situation, die der Fotograf gezielt nutzte, um dem Betrachter einen unmittelbaren Einblick in den Lebensalltag des Porträtierten zu bieten. Der Fotograf wird durch Gespräche und das konstante Miterleben „zu einem Teil des natürlichen Umfeldes und damit stellt sich Authentizität ein. Er gibt den Blick frei in die fast banale Alltagswelt eines Berufspolitikers, auf die Erschöpfung, den Erfolg, die unterschiedlichsten Anforderungen an einen öffentlichen Menschen.“ Zugleich kann er im Zusammenspiel mit den Textredakteuren eine gemeinsame Gesprächssituation und den „kultivierten Zufall“ schaffen. Eines der vielen situativen Bilder, die Maurice Weiss für das Wahlkampf-Team von Frans Timmermans machte. Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz Wahlkampfzeiten sind dabei eine besondere Herausforderung. Im Europawahlkampf 2019 fotografierte Maurice Weiss den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans im Auftrag der SPE. Mit „personalisierter Politik“ wird Parteiwerbung dieser Art über einen einzelnen Kandidaten betrieben. Ein Porträt wie das von Timmermans steht in keinem redaktionellen Kontext, sondern erscheint vor allem auf Wahlplakaten und erhält dadurch eine starke, wenn auch zeitlich begrenzte Präsenz. Solche Bilder werden weniger zwischen der jeweiligen politischen Persönlichkeit und dem Fotografen direkt verhandelt, vielmehr etablierte sich im Zuge der Professionalisierung der Wahlkämpfe eine „strategische Kommunikation“ welche durch Akteure aus Werbung und Marketing geprägt ist. Anders als in diesem Bereich üblich arbeitete Weiss jedoch als fotografischer Begleiter und verfolgte den Wahlkampf der SPE durch ganz Europa. So entstand nicht nur eine Dokumentation, sondern auch ein ungewöhnliches Wahlplakat. Das Foto wurde daraufhin auch für die Wahlplakate genutzt. Foto: Screenshot Instagram Der Erfolg „anderer“ Bilder in der Darstellung von Politik durch den Spiegel und Fotografen wie Maurice Weiss hat seit 2008 zu größerer visueller Varianz geführt. Seine Bildsprache wurde von vielen Kollegen aufgenommen und etablierte sich auch in anderen Magazinen. Diese Situation änderte sich gut zehn Jahre später jedoch erneut: Nachrichten und Berichte werden inzwischen zunehmend über Social Media, Politiker*innen und Institutionen führen dort eigene Accounts. Die in diesen Medien übliche Darstellungsweise – ein Nebeneinander von Bildern völlig unterschiedlicher Inhalte und Provenienz – führt zunehmend zu „lauten“ Bildern oder zu einer „Instagramisierung“, einer visuell einfach lesbaren Information. Die journalistische Bildsprache verändert sich, und der Kampf um Aufträge wird intensiver. Feste Arbeitsverhältnisse für Fotograf*innen existieren nicht mehr. So stellen sich neue und zugleich alte Fragen über die Vermittlung von Politik – nicht nur für die Fotograf*innen, sondern auch für den Journalismus an sich. Journalistische Bilder sind eine maßgebliche Quelle für das historische Erinnern. Welches Bild steht für die Demokratie im Jahr 2020? Welche Bilder der Gegenwart werden unsere Erinnerungen an politische Persönlichkeiten langfristig prägen und ihre Geschichte(n) erzählen? Maurice Weiss spricht über seine langjährige Erfahrung als Politikfotograf. More news