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Neuerscheinung: Vorposten der Freiheit. Remigranten an der Macht im geteilten Berlin (1940–1972)

The Foundation

Im Kalten Krieg wandelte sich der Westen Berlins von der Hauptstadt der NS-Diktatur zum Symbol für Freiheit und Demokratie. Das neue Buch „Vorposten der Freiheit: Remigranten an der Macht im geteilten Berlin (1940-1972)“ von Scott Krause zeigt, dass dies besonders auf eine enge Kooperation zwischen der antikommunistischen US-Außenpolitik und einem Netzwerk von Remigranten der eigentlich marxistischen SPD um Willy Brandt zurückging.

Zur Neuerscheinung sprechen wir mit Scott Krause über sein Buch. Das Interview basiert auf dem Gespräch unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Kristina Meyer mit dem Autor, das als 30-minütiger Podcast in der Reihe Campus Chat – Wissenschaft im Gespräch erscheint. Sie blicken dabei auf die Rolle der Remigranten um Willy Brandt und Ernst Reuter und deren Anteil an der Westbindung der Bundesrepublik.

Wer waren die Protagonisten dieses transnationalen, vor allem deutsch-amerikanischen Netzwerks? Was verband sie – ideell und lebensgeschichtlich? 

Die bekanntesten Figuren sind Ernst Reuter und Willy Brandt, die beiden späteren Regierenden Bürgermeister West-Berlins. Sie, wie die vielen anderen Menschen im Netzwerk, sahen  sich links der Mitte. Während der Weimarer Republik und nach dem Umsturz 1933 mussten sie das Land verlassen und befanden sich dann oft jahrelange im Exil. Das waren natürlich traumatische Erfahrungen. Daraus entstand eine epistemische Gemeinschaft,  die Fluchterfahrung und Trauma des Nationalsozialismus verband. Zudem wurde ihnen im Exil klar, dass man den Nationalsozialismus nicht einfach stoppen kann – stattdessen muss man Angebote machen, die in die breitere Gesellschaft hineinwirken.

Viele von diesen Emigranten kehrten in der ersten Nachkriegszeit nach Berlin zurück. Was für eine politische Situation fanden sie dort vor?

Es war eine unglaublich verwirrende und aufgeheizte Situation in der Stadt. Berlin war die in Trümmer liegende ehemalige Reichshauptstadt und das letzte Schlachtfeld des Weltkrieges in Europa. Die Stadt wurde übernommen von vier alliierten Siegermächten, die jeweils ihre eigenen Vorstellungen hatten. Da waren Konflikte vorprogrammiert. Gleichzeitig redeten alle von Demokratie, doch auch da gab es zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen. Auf der einen Seite das liberaldemokratische Modell, auf der anderen die stalinistische Volksdemokratie. Und in dieser Gemengelage waren es die Remigranten, die mit ihrem autobiographisch kolorierten Bezug auf Freiheit eine klare Richtung vorgeben und dann eine wichtige Rolle ausfüllen konnten.

Warum war das Narrativ vom „Vorposten der Freiheit“ so erfolgreich und welche Rolle spielte dabei der Antikommunismus?

Die Idee des „Vorpostens der Freiheit“ war für ein sehr breites Spektrum attraktiv. Zudem bot  der Antikommunismus des Narrativs eine Kontinuitätslinie zum Anti-Bolschewismus der Nationalsozialisten – minus des offenkundigen Rassismus. So konnte die Berliner Bevölkerung die Erfahrungen des Krieges verarbeiten. Viele schauten dabei jedoch weniger auf die eigenen Verbrechen als auf die Übergriffe der Rote Armee. So entstand einerseits eine Opfer-Erzählung und gleichzeitig wirkte das Narrativ integrativ.

1957 wurde Willy Brandt Regierender Bürgermeister von Berlin. Wie verlief sein Aufstieg in dieses Amt? 

Brandts Einzug ins Schöneberger Rathaus markierte einen Meilenstein für die Westbindung der SPD. Er trat zwar in die Fußstapfen seines Mentors Ernst Reuter, nur war dieser Schritte damals nicht so klar vorherzusehen. Es gab sehr intensive Kämpfe – auch mit innerparteilichen Gegnern. Darüber gibt ein ganzes Kapitel, das die dreifache Krise im Jahr 1953 behandelt: den Aufstand des 17. Junis und die Reaktion darauf, die Hexenjagden McCarthys in West-Berlin und natürlich der überraschende Tod Ernst Reuters. Es dauerte daher einige Jahre, bis sich das Netzwerk neu sammeln konnte mit  Willy Brandt als  Repräsentanten in der Öffentlichkeit.

Welche Bedeutung hatte das Netzwerk für die Demokratisierung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft? 

Das Netzwerk trug entscheidend dazu bei, Mehrheiten für das damalige Provisorium Bundesrepublik links der Mitte zu organisieren.  Ihr Narrativ der Freiheit hatte eine ganz klare prowestliche Stoßrichtung und konnte in dieser aufgeheizten Gemengelage Menschen und Eliten weit über Berlin hinaus für die Demokratie mobilisieren. Auch wenn es in der heutigen Erinnerungskultur vorweggenommen oder übersehen wird: Die Demokratisierung der Bundesrepublik erfolgte im Kontext des Kalten Krieges.

Das Buch wird am »25. Mai in Erfurt an der Willy Brandt School of Public Policy und am »23. Juni in Berlin in der Stiftung Berliner Mauer vorgestellt.

Vorposten der Freiheit Remigranten an der Macht im geteilten Berlin (1940–1972)
Band 3 der Reihe „Willy Brandt – Studien und Dokumente“
36,00 € inkl. Mwst.

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