Heinrich Mann der Europäer

Haus Lübeck

Unsere Veranstaltungsreihe „Das Politische im Denken bedeutender Lübecker“ wurde am 19. Februar fortgesetzt. Nach Thomas Mann, dem nur scheinbar Unpolitischen, ging es an diesem Abend um Heinrich Mann, der sich, nach den Worten des Heinrich-Mann-Biografen Manfred Flügge, jederzeit und resolut auf die Politik geworfen habe. Dies erklärt vielleicht auch das hohe Interesse der Lübecker Politik an der Veranstaltung. Sowohl Bürgermeister Bernd Saxe, Kultursenatorin Kathrin Weiher und der Generalkonsul der Republik Südkorea Herr See-jeong Chang waren unter den Zuhörern.
Wenn es um die Politik geht, ist Heinrich Mann nicht ohne Thomas Mann zu denken und auch umgekehrt. So trieb der Hass auf seinen Bruder Thomas Mann zu ungeheuerer Produktivität. Seine Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918 sind als direkte Auseinandersetzung mit den politischen Denken seines Bruders zu verstehen. Noch im 19. Jahrhundert, als Herausgeber einer nationalkonservativen Zeitschrift, teilte Heinrich Mann einen radikalen Antisemitismus, der die so genannte jüdische Hochfinanz als drohende Gefahr begriff.
Um 1904 wandelte er sich jedoch zu einem Aufklärer zu einer Art „Vernunftrepublikaner“ dem sowohl Geist als auch die konkrete Tat wichtig waren. Dem Deutschen Reich, das zur führende Wirtschaftsmacht Europas heranwuchs, jedoch von einer Elite ostelbischer Junker militaristisch monarchisch beherrscht wurde, stand er zunehmen kritisch gegenüber. Mit den Romanen „Professor Unrat“ und „der Untertan“ hielt er seiner Gesellschaft den Spiegel vor und ahnte die deutsche Krise von 1914-1945 voraus. Heinrich Manns Einsicht, dass ein Reich, das einzig auf Gewalt bestehe und nicht auf Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit, nie siegen könne, führte zu einem Bruderkrieg mit Thomas der bis 1922 andauern sollte. Hatte sich Thomas dem wilhelminischen Deutschland und dem Ersten Weltkrieg voll und ganz verschrieben, entzog sich Heinrich dem nationalistischen Rausch und der fanatischen Kriegseuphorie.

Manfred Flügge bei seinem Vortrag
Manfred Flügge bei seinem Vortrag; Copyright: Olaf Malzahn

Nach verlorenem Krieg und Erfüllung von Heinrich Manns Prophezeiungen vollzog Thomas Mann die politisch Wende und beide kämpften von nun an gemeinsam für die junge deutsche Weimarer Republik und gegen den aufkommen Nationalsozialismus. Bemerkenswerterweise bezog sich Heinrich Mann in seinen politischen Ausführungen nie auf die Stadtrepublik Lübeck, seine Heimatstadt, die er seit 1918 nie wieder aufgesucht hatte.
Das ihm oft vorgeworfene Träumerische oder Utopistische verlieh ihm jedoch eine Visionskraft, die über den Tag hinaus bestand hatte. In seinen Schriften „Bekenntnisse zum Übernationalen“ oder „Der Europäer“ dachte er die europäische Idee voraus bis hin zu einer möglichen Währungsunion. Der Nationalstaat alten Typs hatte für Heinrich Mann ausgedient. Zentrales Element seiner politischen Vorstellungen blieb die Notwendigkeit der deutsch-französische Aussöhnung. Aus heutiger Perspektive wirkt es so, als habe Heinrich Mann die tragende Konstruktion der derzeitigen europäischen Gemeinschaft vorausgeahnt.
Im französischen Exil unterschätzt er jedoch, wie viele seiner Zeitgenossen, die Kriegsbereitschaft und und den ideologischen Kern des Nationalsozialismus, den Vernichtungsantisemitismus. Drei Jahre später wird er tschechoslowakischer Staatsbürger.
In die Zeit nach seiner Ausbürgerung fällt seine Hinwendung zum Kommunismus. Er begreift die Sowjetunion als eine Macht, die im Stande war, den Nationalsozialismus vernichtend zu schlagen und engagiert sich in der Volksfront, einem Bündnis kommunistischer Parteien und andere Organisationen gegen den Faschismus. Die Sowjetunion umwirbt Mann und unterstützt ihn auch finanziell. Den verbrecherischen Charakter des Stalinismus scheint er jedoch nicht zu erkennen, trotz der radikalen Verfolgung aller Andersdenkenden mit zum Teil öffentlichen Schauprozessen.
Im amerikanischen Exil in Santa Monica/Los Angeles, wird er permanent vom FBI überwacht. Die Akten ermöglichen heute die Rekonstruktion der zahlreichen Avancen der DDR-Führung, die Heinrich Mann in den USA erreichten. Im Kalten Krieg entbrannte ein „Kampf um die Seele Heinrich Manns“, den die DDR mit der Beisetzung seiner Urne auf dem Dorotheenstäditschen Friedhof in Ost-Berlin im Jahr 1961 nur scheinbar gewonnen hatte.
Heinrich Mann, so Manfred Flügge abschließend, lebte in Zeiten in denen man sich nur schwer dem Sog der Politik entziehen konnte, zu radikal waren die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts. Fehleinschätzungen gehörten ebenso dazu, denn wer mag sich als heutiger Betrachter zum Richter der Zeitgenossen aufschwingen? Bei allen Interessenkonflikten zwischen Kunst und Politik blieb jedoch die Einsicht, dass die Freiheit immer wieder neu zu erkämpfen war.

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